Jun 18
Tango Nuevo ist ein feststehender Begriff in der Tangomusuk seit Astor Piazzolla dafür komponiert hat.
Bei arkestra convolt wird er noch „neuer“. Hier trifft unser Percussionist Francesco Panarese ( unser weitgereistester Weltmusiker ) auf Klassik, Jazz und Einflüsse der Rockmusik .
Sie alle fliessen ein in den neuen “ Tango Nuevo “ Stil , den arkestra convolt allein schon durch seine Instrumente radikal verändert.
Doch ganz so neu ist diese Idee nicht.
Beeindruckt haben mich das Duo Don Byas, Saxophon und Slam Stewart, Kontrabass und Skat-Gesang.
Diese Besetzung entbehrt jeglicher harmonischer Fülle wie Sie durch ein Klavier oder eine Gitarre formuliert werden kann. Das wirkt zunächst etwas nackt, bei weiterem Hinhören jedoch wird es so interessant und spannend, weil die beiden Musiker alle Aufgaben einer kompletten Band ausfüllen müssen.
Nennen wir es nicht nackt, sondern Beschränkung auf das Wesentliche.
Diese Idee von arkestra convolt sich jeweils zusammen mit Gästen im Duo und Trio vorzustellen, erinnert mich an das musikalische Konzentrat von Johann Sebastian Bachs Cello Suiten und seinen Violin Solosonaten und Partiten. Und nicht zu vergessen: Edgar Meyer, Kontrabass mit Chris Thile, Mandoline.
Wer einmal einen Satz aus einer Cello Suite mit Klavierbegleitung gehört hat, der spürt sofort, dass hier unnötig zuviel gesagt wird.
Astor Piazzolla’s Contrabajeando und sein Libertango geraten so zu Perlen der modernen Musik, die sich einreihen in die Highlights der „Fünf Stücke für Orchester“ op. 10 von Anton Webern und den „Tierkreiszeichen“ von Karlheinz Stockhausen : Reduzierung als Prinzip des musikalischen Reichtums.
Mai 14
Eine Kirche voller Percussionsinstrumente, einen Sprecher, einen Schauspieler, einen Akrobaten und jede Menge Selbstbewusstsein braucht es für „Phonetica“ eine zwölfminütige Bravour Nummer unbekannten Schwierigkeitsgrades. Dass ein Musiker sein Handwerk versteht ist Ehrensache, dass er sein Mundwerk in diesem Fall auch noch unter Kontrolle hat, das vereint sich nicht oft in einem Menschen. Weit entfernt von Selbstzweck in der Inszenierung setzt Max Riefer akustische Bonbons in den Raum, Delikatessen modernen Musikerlebens. Dabei verschwimmt die Wahrnehmung zwischen tatsächlichen Intsrumentalklängen und seinen klangpercussiven Geräuschen die er mit dem Mund produziert. Nicht der Showeffekt geht unter die Haut, der würde uns in Staunen versetzen, nein, es ist der feine Geschmack eines Fünf-Sterne-Menues, dessen Bestandteile wir erahnen aber nicht beschreiben können. Es ist die Magie des Gewusst-Wie. Jetzt wissen und glauben wir auch: seine musikalische Vita ist nur die untertriebene Gelassenheit eines Könners und Machers der Musik. Max Riefer ist das männliche Pendant zu Erika Stucky : beide kommen so natürlich und selbstverständlich auf die Bühne, ausgestattet mit Klarheit, Humor und Können. Beide müssen eine glückliche Kindheit gehabt haben, dass sie sich jetzt so souverän durch das Leben bewegen.
Mai 13
Der Abend beginnt mit nichts. Waldgeräusche in der Kirche. Niemand auf der Bühne, niemand spielt. Anwesenheit in Abwesenheit sozusagen. Fünf Minuten geht das so, dann kommt Leben in die Kirche. Eigentlich in den Wald, denn eine Lerche beginnt ihren Gesang. Es muss eine erfahrene Lerche sein, denn die vielen Geschichten die sie uns erzählt bedürfen einiger Erfahrung. Langsam mischen wir uns ein: zwei Percussionisten, ein Cello, Posaune und eine Klarinette/Saxophon. Die Lerche gibt den Ton an und wir unterhalten uns mit ihr, versuchen Vögel zu sein ( aber keine schrägen Vögel ), so gut zu erzählen wie ein Vogel.. Das Publikum soll wieder bewegt werden: geistig, spirituell. Komponiert“ hat sich die Lerche selbst, aufgenommen hat sie der Komponist Bernhard Wulf ( * 1948 ).
Wir, arkestra convolt sind vor jedem Konzert in Sorge: werden wir unsere Vorstellungen verwirklichen ? Genügen wir unseren eigenen Ansprüchen ? Wir haben uns noch nicht enttäuscht. Und noch nichts Negatives aus dem Publikum gehört, einige sind nicht zum ersten mal hier.
Der malayische Komponist Kee Young Chong ( * 1971 ) hat „Metamorphosis“ (2001) komponiert, für Soloflöte, Max Riefer-Wencheng Lee-Percussion und arkestra convolt. Die Flöte kommt vom Zuspielband. Der Unterschied zwischen „Neuer Musik“ und freier Improvisation verschwimmt bei diesem Werk. Haben Sie gehört, was notiert und was frei gespielt wurde? Gesehen haben Sie es nicht, konnten es nicht ahnen, weil die Musiker sehr konzentriert in ihre Noten schauten. Da war aber nicht viel zu sehen weil da nur Hyroglyphen zu sehen waren. Das ist Teil der Komposition, dann geben die Zuhörer der Darbietung mehr Gewicht. Dies nimmt dem Stück jedoch nichts von seiner tiefen und ernsthaften Musikalität.
Keiko Harada ( *1968) komponierte für Max Riefer das Solostück „Phonetica„. ( Darüber berichten wir separat in einem weiteren Artikel ).
Olga Magidenko betritt mit ihrer Auftragskomposition von arkestra convolt die Bühne: „Puls“ für Saxophon und zwei Percussionisten. Wir lieben sie für ihre Musikbesessenheit. Ihr Weltruhm steht noch aus. Aber arkestra convolt will auch weltberühmt werden. Dann nehmen wir sie mit in den “ Puls“ der weiten Welt. Wir können diese wunderbare Musik nur als tiefgängig-skurril bezeichnen. Und provokativ. Mal ist unser Puls ruhig, dann wieder heftig. Dann bleibt er stehen, in der Musik wie im Publikum. Es ist provokativ, dass diese Musik nicht langweilig ist. Was haben wir denn schon von zwei Percussionisten erwartet ? Ein bisschen bum bum mit jeweils zwei Stöcken. So täuscht sich auch der eingebildete Fachmann. Wie kann das so spannend sein ? Das bleibt Olgas Geheimnis, wir spüren nur das faszinierende Ergebnis und sitzen gebannt in den Kirchenbänken. Claus Rosenfelder am Saxophon präsentiert sich bei dieser Uraufführung in seiner Vielseitigkeit variabler Klangwelten. In der Weltmusik ist er der Giora Feidman der süssen betörenden Klänge. Hier hat er den herben Part. Seine gebrochenen Melodie-Fetzen scheinen den Puls zu unterbrechen, in Frage zu stellen. Das stellt der Analytiker fest. Im musikalischen Zusammenhang ergibt das eher ein percussives Trio, ein Trialog sozusagen unter Schlagwerkern.
Max Riefer, so jung er auch ist, er hat die Ausstrahlung jahrelanger Bühnenerfahrung und noch mehr eine vitale Bühnenpräsenz. Show-Bizz ist das, die wissende virtuose Gelassenheit.
Wencheng Lee ist ein Schlangenmensch. Er hypnotisiert seine Instrumente mit seinen Blicken, windet sich um jede Trommel, nimmt Maß bevor er zuschlägt. Das ist seine Art die Musik zu gestalten und erinnert auch an die Filme von Bruce Lee: gelebte Eleganz.
Mrz 8
Die Überraschung kam von Meike Krautscheid. Sie beginnt mit einem leisen Gesangssolo, wiederholt dies ein zweites und drittes mal. So zaubert sie eine dreistimmige Gesangsbegleitung in den Raum, zu der sie dann ihr eigentliches Anliegen präsentiert. Das haben wir hier noch nicht erlebt, eine faszinierende Klangwelt, trotz aller Technik und dem Effekt Gerät wirkt ihre Eigenkomposition ” Danse” so intim und verletzlich. Denken wir, denn dann beginnt das Stück erst richtig und Meike versetzt uns in eine Kirche mitten in Harlem, in den Film Sister Act: die Gemeinde wiegt die Oberkörper, zwischen den Kirchenbänken klopfen Füsse den Rhythmus. ( Sind die Schlierbacher immer so ? )
Meike hat viel Technik mitgebracht und versteht es, dies zu ihrem Vorteil zu nutzen. So geschehen in ihrer Komposition ” All around you “. Den schönen Rabbath Sound auf dem Kontrabass hat sie inzwischen gelernt. Dazu zaubert sie mit ihrem Effekt Gerät einen original klingenden Orgelklang den sie selbst zuvor in ihr Loop Gerät einspielt. Dazu singt und improvisiert sie vokal wie instrumental.
Dann lässt sie die Technik ihre Töne verzerren, begleitet sich bei einem weiteren Lied ( Hold the Line ), zu dem dann die fetzigen Basstöne nur so in den Raum spritzen. Hier wird ihre Musik tatsächlich dreidimensional, die Zuhörer spüren, wie sie körperlich von den Tönen wie von Wassertropfen… ja, was ? Ja, tatsächlich getroffen werden. Wie in einem 3D Film kommen rockig-rhythmische Soundpatterns durch den Raum auf uns zugeflogen. Die souveräne freie Improvisation bei den gemeinsamen Stücken mit arkestra convolt hat Meike inzwischen auch gesanglich erstaunlich anpassungsfähig drauf.
arkestra convolt soll hier keineswegs zu kurz kommen: Meike bedankte sich bei uns nach dem Konzert für diesen Abend mit den Worten: ” Solche Musiker und solche Musik gibt es in Köln in der Jazz- und freien Impro- Szene nicht ”
Haben wir da noch Worte ?
Feb 22
Bergkirche Schlierbach – Seitenblick rechts
Diese Hammer Konzerte haben nichts mit dem Hammerklavier zu tun, so wie die Anschlagskultur der meisten Pianisten kein Anschlag auf die Kultur ist. Nein. das Konzert am 22.2.2013 war Johann Sebastian Bach gewidmet. Unsere Auseinandersetzung mit diesem Thema war krankheitsbedingt, unser Gast Min Yung musste absagen. Was als Notprogramm begann entwickelte sich innerhalb einer Woche zu einer musikalischen Besessenheit, wir spürten das verändernde anspruchsvolle Potential dieser Idee. Da wir annahmen, dass dieses Programm zu streicherlastig sein könnte, beschlossen wir in die Mitte, sozusagen an den Höhepunkt ein Percussions Solo für Francesco zu setzen und kamen dann auf die passende Musik: die Sarabande der fünften Bach Suite für Violoncello. Der Höhepunkt sollte aber nicht laut und spektakulär sein. Kein Spektakel sollte es sein, aber durchaus : spektakulär. Einzigartig, still und bewegend. so ist es dann geworden. Schauen sie nach unter : Presse. Hier spricht uns jemand aus dem Herzen.
Bergkirche Schlierbach – Seitenblick links
Beim Lauschen der Sarabande in diesem Konzert kamen mir Erinnerungen an ein Gedicht von Dietrich Bonhoeffer. Ich erinnerte mich dunkel an die Worte: von guten Mächten wunderbar geborgen…..! Es kam durch die Musik. ( In mehreren Blogs finden Sie alles zu unserem Thema Johann Sebastian Bach).
Sie können nun im folgenden meine Assoziationen beim Lauschen der Sarabande in Bonhoeffers Gedicht aus der Todeszelle nachlesen:
Von guten Mächten treu und still umgeben, behütet und getröstet wunderbar, –
so will ich diese Tage mit euch leben und mit euch gehen in ein neues Jahr;
noch will das alte unsre Herzen quälen, noch drückt uns böser Tage schwere Last.
Ach Herr, gib unsern aufgeschreckten Seelen das Heil, für das Du uns geschaffen hast.
Und reichst Du uns den schweren Kelch, den bittern, des Leids, gefüllt bis an den höchsten Rand,
so nehmen wir ihn dankbar ohne Zittern aus Deiner guten und geliebten Hand.
Doch willst Du uns noch einmal Freude schenken an dieser Welt und ihrer Sonne Glanz,
dann woll’n wir des Vergangenen gedenken, und dann gehört Dir unser Leben ganz.
Laß warm und hell die Kerzen heute flammen die Du in unsre Dunkelheit gebracht,
führ, wenn es sein kann, wieder uns zusammen! wir wissen es, Dein Licht scheint in der Nacht.
Wenn sich die Stille nun tief um uns breitet, so laß uns hören jenen vollen Klang
der Welt, die unsichtbar sich um uns weitet, all Deiner Kinder hohen Lobgesang.
Von guten Mächten wunderbar geborgen erwarten wir getrost, was kommen mag.
Gott ist bei uns am Abend und am Morgen und ganz gewiß an jedem neuen Tag.
Dietrich Bonhoeffer
http://www.epochtimes.de/dietrich-bonhoeffer-von-guten-maechten-treu-und-still-umgeben-8488.html
Jan 18
Ein in Heidelberg unbeschriebenes Blatt betritt die Bühne, braver ordentlicher schöner Schwabe
Ungesehen, weil oben an der Orgel, inszeniert er einen Background Orgelteppich der Bernd Stang an der Posaune zu einem fulminant-improvisierten Trompetenkonzert animiert. Und das auf der Posaune. Dann schwebt er herab an das Cembalo. Er hätte Bach das Fürchten gelehrt. ( Bach hatte 1717 am Hof in Weimar bereits den Ruf eines Orgelvirtuosen und jemand aus der Adelsgesellschaft in Dresden kam auf die Idee, ihn zu einem Impro-Duell mit dem am Hof weilenden französischen Orgelvirtuosen Louis Marchand herauszufordern. Beide sagten zu, abends war der Virtuose aus Frankreich jedoch – fluchtartig – abgereist. ) Bach wäre sicherlich nicht abgereist, sondern hätte sich von Uli Kieckbusch Anregungen für weitere, noch schwierigere Kompositionen geholt. Uli Kieckbusch mischt in den Stücken von arkestra convolt so kongenial mit, dass die Zuhörer wissen: das ist minutiös einstudiert. Aber genau das ist es nicht. Und während Uli‘s Improvisationen sind das Publikum und arkestra convolt sich nicht sicher, ob das Cembalogestell dieses Ideenfeuerwerk überlebt. Auch die anwesende Gastgeberin, Pfarrerin Martina Reister-Ulriichs atmete am Ende des Konzerts erleichtert, wenn auch glücklich auf, über den in jeder Hinsicht guten Ausgang dieser muskalischen Attacken.
Seine fulminante Präsenz erstrahlte dann bei seiner Solonummer: „Bernsteinsong“ Eine schöne getragene Harmonika Melodie ging in seinen Gesang über. Sonore tiefe Jim Jarmusch Stimme ( ohne Alkohol ) in diversen improvisierten Sprachen ( jeder kann seine Wunschsprache heraushören ) und dann steigt sie hinauf und immer höher, wird klarer , reiner und noch höher, bis sie in einen reinen Obertongesang mündet. Ich, der Cellist pausiere derweil und sehe geschlossene Augen im Publikum, glückliche Gesichter, wie so oft an diesem Abend. Ich sehe auch lachende Gesichter.
Uli Kieckbusch´s Charme geht noch um einiges tiefer als es sich beschreiben lässt: Wenn alle Normen und Formen verlassen werden, dann finden er und arkestra convolt die Ausdruckskraft, die in vielen Proben nicht geübt werden kann.
Das unterscheidet arkestra convolt und Uli Kieckbusch von klassischen Ensembles und an Lead-Sheets gebundene Jazzensembles: wenn sie eine Chance wittern, dem Publikum eine neue Geschichte zu erzählen, dann, dann schlagen alle einen gemeinsamen Haken in das neue Geschehen. So viel musikalischer Wagemut, oft haarsträubend fetzig und witzig zwingt lachende Gesichter in das Publikum.
Nein, dies ist keine Trauerandacht.
( Die Anekdote über Bach stammt aus dem Buch von Eric Siblin : „Auf den Spuren der CELLO SUITEN, Johann Sebastian BACH; Pablo Casals und ich.“ Irisiana Verlag
Dez 14
arkestra convolt gelang es mit gänzlich freien Improvisationen für das Ohr der Zuhörer spannende bis harmonisch irritierende Klangwelten zu zelebrieren.
Francesca Imoda kommt so jung und harmlos daher. Aber wenn der Tanz beginnt, dann traut der Zuschauer seinen Augen nicht : von Lolita über Vamp bis hin zum Engel in der Kirche beherrscht sie ein Spektrum tänzerischer Ausdruckskraft, die im Publikum Schockstarre erzeugen kann und dann wieder einen Drang zum ” ich krieg mich nicht mehr ein ” Gefühl erzeugt. Seit diesem Konzert gehört arkestra convolt zur absoluten Fangemeinde dieser begnadeten Tänzerin.
Hans Bellmann hat einen Roman geschrieben: ” Stein und Flöte – und das ist noch nicht alles ” Das ist es: hier fehlt noch etwas. Die pure Beschreibung alleine gibt noch nicht den Inhalt korrekt wieder. Es gab einen Rektor der Jüdischen Universität in Heidelberg : Yehuda Raddai, der hat ein kleines Rätselbuch verfasst mit dem Titel : ” Rätseligkeiten ” : Charaden,, Intimitäten, Homonyme und Palyndrome der Sprache. Verlegt im Verlag Uli Ackermann. ( Ich erwähne und zitiere dies, solange es mir erlaubt ist und hoffe , dass die nicht erfragte Erlaubnis auch bleibt ).Was Francesca Imoda in der Kirche macht ( und arkestra convolt begleitend ebenso ) ist das folgende Homonym von Jehuda Raddai: ” Credo und Kollekte ” :
“Am heiligen Orte, im Dom, Gottes Wohnung,lauscht frömmelnd dem Worte und hofft auf Belohnung der Geizhals andächtig. Doch kaum hat der Priester des Wortes Betonung verlegt,so verschließt er sein Ohr niederträchtig.” Beides findet hier die Erfüllung: die Trilogie der Erfüllung von Hingabe und Gebet und gebet. Dafür danken alle Beteiligten mit gleicher Hingabe.
Photos: Swaantje Hehmann